Christophorus
Die Oldtimer Detektivin
Original Artikel: https://christophorus.porsche.com/de/2023/408/dossier-laura-kukuk.html
Ihr Wissen über klassische Automobile ist weltweit gefragt. Sie sitzt in der Jury des prestigeträchtigen Wettbewerbs Concorso d’Eleganza. Und sie ist gerade mal 30 Jahre alt. Die Ingenieurin Laura Kukuk geht in einer traditionell geprägten Szene ihren eigenen Weg.
Lässig lehnt Laura Kukuk am Garagentor, neben dem der familieneigene Porsche 911 (964) steht. Ihr orangefarbenes Shirt kontrastiert perfekt mit dem Lack in Amazonasgrünmetallic. Kukuk mag es bunt. Sie liebt Gegensätze. Und lässt sich nicht gerne in Schubladen stecken, auch wenn ihr das als junge Frau in einer technisch geprägten Branche in ihrem Arbeitsalltag oft passiert.
Dabei wechselt sie ständig zwischen Tradition und Moderne. Laura Kukuk ist eine international gefragte Oldtimerspezialistin. Gemeinsam mit ihrem Vater leitet die 30-Jährige das Ingenieurbüro Kukuk in Overath, rund 30 Kilometer östlich von Köln. Es ist ein globales Geschäft. Heute Mailand, morgen London, übermorgen New York. Viele Reisen, um die Originalität eines Fahrzeugs oder den Wert einer Rarität zu bestimmen. „Hinter jedem Auto stehen besondere Menschen und ihre Geschichte. Das ist die Faszination, die mich antreibt“, sagt Kukuk.
Eine dieser Geschichten handelt von einem knallgelben Porsche 934 Turbo RSR aus dem Jahr 1976, der einst in Le Mans startete. In Südengland sollte sie den Rennwagen für den potenziellen Käufer begutachten. Der wollte mit ihr im Privatjet anreisen, doch Kukuk nahm den Linienflug. Unabhängig zu sein, das ist ihr wichtig. Zum Termin brachte der Kunde seine Frau und die Kinder mit. „Als Erstes haben wir den Motor gestartet, und alle bekamen eine Gänsehaut. Es war schön, diesen Enthusiasmus der ganzen Familie zu spüren“, erinnert sie sich. „Als ich später unterm Auto lag und die Schleifspuren gesehen habe, lief vor meinen Augen sofort ein Film ab, wie der Rennwagen in Le Mans auf den Curbs aufsetzte.“
Der Porsche 911 begleitet sie in ihrem Job – und in ihrer Familiengeschichte. Mit einem Ur-Elfer, Baujahr 1966, in Saharabeige fuhr ihr alleinerziehender Vater regelmäßig mit Laura und ihrem Bruder in den Skiurlaub. „Den 911 verbinde ich mit meiner Kindheit“, sagt Kukuk. Oldtimer sind für sie Alltagsautos. Wenn damals etwas kaputtging, halfen die Kinder bei der Reparatur. Später wurde der Ur-911 vom 964 in dem seltenen Grünton abgelöst, der heute noch das Familienauto ist.
Kukuk steigt jetzt ein, dreht den Zündschlüssel. Vom Kölner Rheinauhafen geht es durch das Bergische Land zurück ins Büro nach Overath. 40 Kilometer, sanfte Hügel, schwungvolle Kurven und links wie rechts wilder Klatschmohn, Pferdekoppeln sowie Gaststätten mit idyllischen Namen wie „Auf dem Berge“. In Overath ist das Büro nicht zu verfehlen. Ein orangefarbener Dreirad-Kleintransporter vor der Tür ist Firmenlogo und Wegweiser.
Drinnen reihen sich Gutachten dick wie Bücher in den Regalen aneinander. Die Historie eines Autos zu rekonstruieren, die Echtheitsprüfung und die Marktanalyse sind Detektivarbeit. „Manchmal fühle ich mich wie Sherlock Holmes“, sagt Kukuk. Obwohl sie schon früh Einblick in die Tätigkeit ihres Vaters erhält, bleibt sie zunächst auf Distanz. „In der Pubertät habe ich mich eher dagegen gesträubt. Ich war in Florenz auf einer Sprach- und Zeichenschule“, erzählt sie. Die Kreativität ist für sie bis heute ein wichtiger Teil ihres Lebens. Mit Freundinnen trifft sie sich oft in Kunstausstellungen. Oder sie packt selbst die Staffelei aus und lässt ihren Gefühlen auf dem Papier freien Lauf. Manchmal schnappt sie sich aber auch ihr Skateboard oder verabredet sich zum Wasserskifahren auf dem Rhein.
„Hinter jedem Auto stehen besondere Menschen und ihre Geschichte.“
Laura Kukuk
Andererseits war da auch immer diese technische Neugier. Noch vor dem Abitur absolvierte sie Praktika bei einem freien Porsche-Tuner und beim Porsche-Rennstall Kremer Racing. Danach studierte sie nicht Automobildesign – wie ursprünglich geplant –, sondern Maschinenbau und Fahrzeugtechnik. Kukuk: „Ich hatte Zweifel, ob ich das schaffe. Aber ich dachte mir: Wenn ich das wirklich draufhabe, ziehe ich es auch durch.“
Sie zog es durch. Inklusive Praktikum bei McLaren Automotive und eines Jahres als Entwicklungsingenieurin im englischen Woking. Mit abgeschlossenem Studium stieg sie in den Familienbetrieb ein. „Mich hat es gereizt, die Historie und die Seele eines Klassikers zu erkunden, anstatt als Ingenieurin etwas eher Anonymes zu schaffen“, sagt sie.
Der nächste Termin. Laura Kukuk lädt ihr Equipment in den 964. Dann geht es in die Hallen eines Porsche-Spezialisten im nahegelegenen Bergisch Gladbach, wo sie einen aktuellen 911 „Belgian Legend Edition“ (992) begutachten soll. Das auf 75 Exemplare limitierte Sondermodell auf Basis des 911 Carrera 4S ist eine Hommage an die Rennfahrerlegende Jacky Ickx. „Ich finde es faszinierend, dass sich die Formensprache des Elfers bis heute nicht verändert hat. Einen Porsche erkennt man immer, sogar im Dunkeln.“
Für ihre Gutachten nutzt sie naturwissenschaftliche Methoden, um möglichst objektive Daten zu erhalten. Dafür sind sie und ihr Vater weltweit bekannt. „Wir begreifen das Fahrzeug selbst als Quelle und nicht nur das, was in den Papieren steht“, sagt sie. Zu ihren Hilfsmitteln gehören 3D-Scan, Lackschichtendickemessung, Ultraschall sowie Spektroskopie für die Materialanalyse und -datierung. Dazu kommen historisches Fachwissen, Akribie und handwerkliches Geschick. „Bei einem Porsche 911 Carrera RS 2.7 hat das Blech eine Stärke von 0,88 Millimetern. Nur 0,8 Millimeter sind es bei einem Leichtbau dieses Derivats. Diesen kleinen, aber entscheidenden Unterschied von 0,08 Millimetern muss man bei einer Bewertung wissenschaftlich ermitteln.“
Trotz aller Kompetenz und Erfahrung: Nicht immer kommen Kukuks Analysen gut an. „Ich bin jung, eine Frau, blond und teile auch unangenehme Fakten mit. Damit kommen manche nicht klar – in genau dieser Reihenfolge“, lacht sie. Spätestens wenn die Skeptiker hören, dass sie an der TH Köln Lehrbeauftragte für Fahrzeugrestaurierung ist, geben sie klein bei.
Ein weiterer Nebenjob: Laura Kukuk ist eine der wenigen Preisrichterinnen beim Concorso d’Eleganza Villa d’Este in Italien. Frauen spielen in diesem exklusiven Zirkel der wertvollsten Klassiker am Comer See bislang nur eine Nebenrolle. Diese Tradition ändert sich gerade. Und Laura Kukuk ist hier genau richtig.
Denn wenn sie erst einmal anfängt, von all den Spezialfällen in der Oldtimerbewertung zu erzählen, ist sie voll in ihrem Element. Von einem Detail hangelt sie sich zum nächsten. Es wird ein langer Monolog, in dem Begriffe fallen, die nur Experten verstehen. Man merkt: Sie liebt, was sie tut.
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